In memoriam Dr. Georg Haehn

Wir trauern um einen Kollegen.

Mit großer Trauer nahmen wir Abschied von Herrn Dr. Georg Haehn, der über 15 Jahre als Lehrer für Mathematik und Physik an unserer Schule tätig war.
Georg Haehn prägte unsere Schulgemeinschaft in vielfältiger Weise. Als Klassenlehrer begleitete er Schülerinnen und Schüler mit Geduld, Klarheit und einem feinen Gespür für die individuellen Stärken und Schwächen jedes Einzelnen. Besonders am Herzen lag ihm dabei die Förderung von Selbstständigkeit und Verantwortungsbewusstsein. „Jeder hat das Recht auf störungsfreies Lernen.“ – ein Grundsatz, den er mit jeder Faser seiner Lehrerpersönlichkeit vorlebte, nicht nur mit offensichtlichen Lehrertugenden wie Pünktlichkeit, Selbstorganisation, liebevoller Unterrichtsvorbereitung und neutraler Beobachtung und Bewertung. Darüber hinaus strahlte Georg eine Grundhaltung in Bezug auf Schule und Unterricht aus, die ihresgleichen suchte.
Er sprach Schule und Unterricht eine Wertigkeit zu – eine Perspektive, die uns im Alltag oft verloren ging. Seine Zeit und Aufmerksamkeit waren eine wertvolle Ressource, die mit Respekt zu behandeln war; doch Gleiches galt für ihn auch für die Zeit und Aufmerksamkeit seiner Schützlinge. Schülerinnen und Schüler hatten ein Recht auf guten, zielführenden Unterricht, auf einen zugewandten, gesprächsoffenen Lehrer, ein Recht darauf, wahrgenommen und ernst genommen zu werden. Das war Georgs tiefste, verinnerlichte Haltung. Somit ärgerte ihn kaum etwas mehr als „typische“ Schülersätze im Mathematikunterricht wie: „Ich bin zu doof dafür.“ – „Ich kann das einfach nicht.“ – „Ich gebe es auf.“ Solche Sätze duldete er in seiner Klasse nicht. 
„Jeder hat das Recht auf seelische Unversehrtheit.“ Mit seiner analytischen Wahrnehmung sozialer Prozesse erkannte Georg, dass sich Schülerinnen und Schüler einen nicht unerheblichen Teil seelischer Versehrtheit selbst zufügten, indem sie über sich selbst als unfähig, inkompetent oder unverbesserlich sprachen. Solches Gerede ließ Georg nicht zu, ließ es nicht gelten und wog die Selbstverletzung darin auf.
Vielmehr arbeitete er anhand zahlreicher Studien daran, aus dem Klassenraum einen Ort des Lernens zu machen, in dem sich die Schülerinnen und Schüler zum einen wohlfühlten, zum anderen auch ihre individuellen Fähigkeiten optimal in den Lernprozess einbringen konnten. Eine wichtige Rolle spielte dabei für ihn die Sitzordnung, die er in seiner Klasse immer wieder optimierte. Im Kollegium vielbeachtet passte er Sitzkombinationen und besonders die Sitzgeometrie im Raum sehr individuell an und ließ dabei auch Wünsche der Lerngruppe miteinfließen.
Als natürliche, logische Schlussfolgerung aus dieser Haltung ist daher Georgs Schwerpunkt in der Schulentwicklung zu verstehen: die Weiterentwicklung unseres pädagogischen Profils als Ganztagsschule. Er wirkte maßgeblich an der Gestaltung und Implementierung unseres Lernzeitenkonzepts mit und beharrte darauf, dass dieses Konzept im Fluss, in der Entwicklung, in der Verbesserung blieb. Eltern vertrauten uns ihr Wertvollstes für den gesamten Tag an; daher musste nach seinem Anspruch diese wertvolle Zeit mit Wertschätzung und Ernsthaftigkeit genutzt werden. Wir durften dieses Geschenk nicht verplempern. Und wir durften den Kindern nicht erlauben, diese Zeit zu verplempern. Die „Haehnsche Denkzeit“ entstand aus diesem Geist heraus. Die Schule als Ort des sozialen Miteinanders, des gegenseitigen Respekts, der Verantwortung und des Gemeinschaftssinns lebte er vor und forderte er ein – immer in seiner gesetzten Persönlichkeitsstruktur: ruhig, unaufgeregt, strukturiert. Ohne Vorwurf, vor allem ohne Verdruss. In professionellen Kontexten nahm er sich und seine persönlichen Ansprüche stets zurück. In ruhigen Gesprächen mit Abstand sprach Georg dann doch über Frustration, Enttäuschung und über das Scheitern selbst. Auch ihm gelang nicht immer alles, auch ihn berührten verpasste Chancen und Rückschläge. Gerade hier zeigte sich seine menschliche Größe. „Manchmal muss man auch einfach hinnehmen, dass nicht alles glückt, dass man viele Faktoren nicht beeinflussen kann.“ So einfach und doch oft schwer in der Umsetzung – Georg glückte es meist.
Als langjähriger Fachvorsitzender im Fach Physik prägte er nicht nur den Unterricht fachlich, sondern kümmerte sich auch unermüdlich um die Pflege und Modernisierung der Physiksammlung. Sein Engagement beim Umbau und dem Umzug der Sammlung in die neuen naturwissenschaftlichen Räume war beispielhaft und zeugte von großer Sorgfalt, Organisationstalent und Verantwortungsbewusstsein.
Hier wie andernorts zeigte sich seine prägendste Eigenschaft für den Schulalltag: Es genügte ihm nie, mit vorgefertigten Standardlösungen zu operieren. Stets war es Georg wichtig, ein Problem selbstständig zu durchdenken, und dabei legte er kritisch den Finger in die Wunde. Insbesondere während zweier Umzüge der Schulgebäude plante er mit großer Sorgfalt, Genauigkeit und Übersicht den Umzug und die Neuausrüstung der Physiksammlung federführend. Erstaunlich war, wie er die sich immer wieder neu entwickelnden Umstände – etwa in Bezug auf Finanzen, Inventarlisten, Bestandslisten oder veränderte Richtlinien im Schulamt – mit Ruhe und Geduld akzeptierte und immer wieder zugunsten der Fachschaft Physik optimierte. Hier zeigten sich seine große experimentelle Erfahrung, seine hohe Frustrationstoleranz und sein zielgerichtetes Arbeiten. Gerade in dieser Phase war er in der Fachschaft Physik unersetzbar.
Ein weiterer Schwerpunkt seiner Lehrertätigkeit war eine Rolle, die ihm schicksalhaft zufiel: die Rolle des väterlichen Mentors für den Physiknachwuchs. Mit seinem ungewöhnlichen Werdegang wirkte er als Vorbild und ebnete Wege. Ab Tag 1 nahm er seine Rolle als Ausbilder ernst und gab dem Physiknachwuchs möglichst viel Raum für eigene Erfahrungen beim Unterrichten, bei Unterrichtsvor- und -nachbereitung, beim Experimentieren und beim Erstellen von Klausuren. Offensichtliche Fehler sprach er freundlich und deutlich an. Für Referendarinnen und Referendare war es eine äußerst gewinnbringende Erfahrung, von Georg lernen zu dürfen; jegliches Problem konnte mit ihm besprochen werden. Dabei nahm er seine Referendarinnen und Referendare auch als (Fach-)Kolleginnen und Kollegen sehr ernst, sodass ein Verhältnis auf Augenhöhe entstand.
Unvergessen bleibt, wie er am Tag der unterrichtspraktischen Prüfung rein mentale Unterstützung leistete, als er unerwartet am Prüfungsort mit einer Flasche Sekt auftauchte und einen tristen, coronageprägten Prüfungstag aufhellte und vor allem für den letzten Teil noch einmal stark motivierte. Dies war, ist und bleibt einmalig, unvergessen und zeigt, mit welcher Zugewandtheit und Offenheit, mit welchem Respekt und welcher Wertschätzung Georg seinen Mitmenschen gegenübertrat.
Das bisherige Bild zeichnet einen analytischen Charakter, ernsthaft und klar. Doch das trifft nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist ungleich schwieriger in Worte zu fassen – es ist ein visuelles Erinnerungsbild: ein strahlendes Lachen. Georg führte kaum ein Gespräch, ohne dabei herzlich und herzhaft zu lachen, meist und gerne über die kleinen und großen Unsinnigkeiten des Schulsystems, über die inneren Widersprüche zwischen politischem Anspruch und rationaler Ressourcenverteilung. Dabei entsprach es seinem agilen Geist, schnell vom Kleinen auf das große Ganze zu schließen und umgekehrt. Er wurde oft und gerne ironisch, aber nie sarkastisch.
Bei allem beleuchten wir hier nur einen relativ kleinen, den professionellen Ausschnitt seines Wirkens. Die eigentliche Rolle seines Lebens fand Georg in der Rolle als Ehemann und Vater.
Wir verloren mit ihm nicht nur einen geschätzten Kollegen und Lehrer, sondern auch einen Menschen, der uns mit seinem Wissen weit über den Tellerrand der Naturwissenschaften hinaus, mit seiner humorvollen Warmherzigkeit und seiner Zuverlässigkeit bereicherte.
Unser aufrichtiges Mitgefühl gilt seiner Familie und allen, die ihm nahestanden.
In unserer Erinnerung bleibt ein lebendiges, lachendes, herzenswarmes Bild von Georg Haehn, dem radelnden, feuerroten Physiker aus dem Neandertal.
Für das Kollegium des Friedrich-Rückert-Gymnasiums

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